Bargeld: Emotion und Tradition

Was unser Weihnachten ist, hört im Reich der Mitte auf den Namen „Chunjie“ – das chinesische Neujahresfest. In der Zeit des wichtigsten fernöstlichen Feiertags steht eine der größten Industrienationen der Welt nahezu still und für knapp zwei Wochen bildet die Familie den Mittelpunkt Chinas. Ein klassischer Brauch gehört dabei für alle Chinesen fest dazu: das Verteilen eines „Hongbao“ („rote Packung“). Dahinter verbergen sich rote, kunstvoll verzierte Umschläge, in denen im engen Familienkreis kleine Geldgeschenke verteilt werden. Ein paar zerknitterte Scheine aus der Hosentasche zählen allerdings nicht: Die Tradition sieht vor, dass die Umschläge mit druckfrischen Banknoten und einem geraden Betrag bestückt werden – nur so bringen sie das meiste Glück.
Wenn ein solcher Umschlag in traditionell theatralischer Manier nach mehrmaligem Hin und Her den Besitzer gewechselt hat, soll er für den Beschenkten vor allem Wertschätzung und Glück symbolisieren. Alleine für dieses Schauspiel stellen die Filialen der Deutschen Bank in Singapur und Hongkong jedes Jahr mehr als 150.000 druckfrische Geldscheine bereit – und das in einem Land wie China, wo sogar die Bettler auf den Straßen Pekings Almosen digital per QR-Code akzeptieren. Welche emotionale und traditionelle Bedeutung Bargeld für viele von uns hat, betrachten wir in diesem Blogbeitrag.
Nicht alles auf einmal ausgeben
Die meisten von uns können diese chinesische Neujahrestradition sicher vollends nachvollziehen. Schließlich ist Bargeld auch in unserem Kulturkreis bis heute mit fest verankerten Traditionen verbunden. Klassische Geldgeschenke zu Hochzeiten oder Geburtstagen sind auch bei uns bestens bekannt und ein gern genutztes Mittel, um seinen Liebsten gegenüber Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu vermitteln. So wird es als herzliche Geste verstanden, jemandem zum Ehrentag eine handbeschriebene Karte mit etwas Geld zu überreichen. Hier spielt vor allem der physische Faktor des Bargelds eine große Rolle: Geldscheine lassen sich hübsch verpacken und als Gegenstand mit ideellem Wert – begleitet von ein paar herzlichen Worten – persönlich überreichen. Man stelle sich im Gegenzug einmal vor, das Brautpaar würde am Eingang der Kirche einfach ein Lesegerät aufstellen, an dem jeder Gast im Vorbeigehen seine Bankkarte durchzieht. Die nette Geste würde als digitale Ziffer einfach auf dem Konto landen und gänzlich an persönlicher Bedeutung verlieren.
Früh gelernt
Dass Bargeld gewisse Werte vermittelt und Emotionen hervorruft, erfahren die meisten von uns schon im frühen Kindesalter. Sicherlich erinnert sich so mancher gerne an die sorgenfreie Zeit als Knirps, in der einem Oma und Opa gerne heimlich ein paar Münzen zugesteckt haben, die man dann gegen ein leckeres Eis eintauschen konnte. Oder wenn man sich in den Ferien mit Rasenmähen ein kleines Extra-Taschengeld hinzuverdient hat. Solche direkt begreifbaren Vorgänge haben für Kinder eine enorme Bedeutung und vermitteln bereits früh wichtige Werte wie:
• das Verhältnis von Arbeit und Belohnung
• Verantwortung für die eigenen Ausgaben
• Bescheidenheit
Wer pro Monat 25 Euro Taschengeld bekommt, kann entweder jeden Tag Süßigkeiten kaufen oder ein Jahr lang eisern auf eine Playstation sparen. Auf diese Form der Kostenkontrolle schwören viele auch noch im Erwachsenenalter – schließlich kann man für den Wocheneinkauf nicht mehr als 50 Euro ausgeben, wenn man nur diesen Betrag im Geldbeutel hat. Bank- oder Kreditkarten erhöhen hingegen die Gefahr, über seine Verhältnisse zu leben, da von der digitalen Transaktion keine physisch greifbare Wirkung (wie der Verlust eines Geldscheins) ausgeht.
Schnelle Scheine
Traditionelle Werte nimmt Bargeld auch in vielen Alltagssituationen ein – oft alleine schon aus praktischer Sicht. Auf kleinen Wochenmärkten in ländlichen Regionen bereitet es vielen von uns Freude, dem Landwirt seines Vertrauens ein paar Münzen im Austausch für frisches Gemüse überreichen zu können. Barzahlen ist hier Gang und Gäbe, zumal sich der Einsatz anderer Zahlarten aufgrund von hohen Gebühren oder mangelnder technischer Infrastruktur dort kaum lohnen würde. Gleiches gilt für Privatverkäufe auf Flohmärkten oder für den Straßenmusiker in der Fußgängerzone. Hier spielen ebenfalls Faktoren wie der Reiz beim Handeln um einen physischen Gegenstand oder eine liebevolle Geste in Form einer gespendeten Münze zusätzlich wichtige Rollen, die kaum wegzudenken sind.
Bargeld stellt daher für viele von uns deutlich mehr dar eine bloße Form des Bezahlens dar, sondern vermittelt Werte, Emotionen und Symbole.