Fußball-EM als Booster für Handel und Gastgewerbe?

In wenigen Wochen startet in Deutschland die Fußball-EM. Aus diesem Anlass werden tausende Fans und Interessierte (nicht nur) aus den Ländern der teilnehmenden Teams erwartet. Auch Handel und Gastgewerbe fiebern dem ersten Anstoß entgegen. Berechtigt oder nicht?
Vier Wochen, 51 Partien, zehn Spielstätten: Das ist die Europameisterschaft in Deutschland. 2,7 Millionen Besucher:innen in den Stadien sowie rund sieben Millionen Gäste werden in den Fan-Zonen und bei Public Viewings erwartet. Das klingt vorderhand nach einem großen Umsatzhebel für den lokalen Handel und natürlich das Gastgewerbe. Aber stimmt das auch?
Differenzierte Erwartungen
Gemäß einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) erwartet der größte Teil der Betriebe in Gastronomie und Hotellerie keine wirtschaftlichen Effekte durch die Großveranstaltung. Lediglich 15,5 Prozent aller Unternehmen rechnen mit positiven Effekten. Rund drei Viertel der befragten Betriebe gehen nicht von mehr Gästen oder höheren Umsätzen aus. Das sieht bei den Firmen an den Spielorten erwartungsgemäß anders aus. Hier rechnen 42,3 Prozent mit mehr Gästen und 39 Prozent hoffen auf ein Umsatzplus.
Optimistisch zeigt sich der Einzelhandel in Deutschland. So prognostiziert der Handelsverband Deutschland (HDE) zusätzliche Umsätze in Höhe von 3,8 Milliarden Euro. Snacks, Grillgut, Getränke sowie Fanartikeln wie Schals, Fahnen und Dekoartikel werden besonders gefragt sein.
Langfristige Wirkungen
Nicht zu beziffern sind die langfristigen Auswirkungen, die sich aus der Heim-EM ergeben können. Viele Besucherinnen und Besucher werden die Destinationen erstmals erleben. Mit überzeugenden Erlebnissen in Handel und Gastronomie besteht die Chance, die erstmaligen Gäste zu Stammgästen zu machen.
Hier sollten auch indirekte Weiterempfehlungen nicht unbeachtet bleiben. Wer eine gute Erfahrung mit einem Hotel gemacht hat, wird dieses vermutlich in seinem Unternehmen gern weiterempfehlen, wenn dort nach Orten für Veranstaltungen gesucht wird.
Andererseits liegen auch gewisse Risiken in der Großveranstaltung. In der Gastronomie der Spielstätten kann es passieren, dass die Tourist:innen die Stammgäste verdrängen. Gut vorbereitet sind alle Betriebe, die ihre Stammgäste „kennen“ und für diese auch während der vier Wochen der EM ein Kontingent an Plätzen und Reservierungssystemen vorhalten. Eine gute Vorbereitung ist alles. Das gilt auch für den Handel.
Langfristig können alle Branchen nur gewinnen, wenn sich Deutschland als gastfreundliches und offenes Land präsentiert, um so die Besucherinnen und Besucher aus Europa vom Wiederkommen zu überzeugen. Und dann nicht nur für wenige Tage anlässlich eines Spiels, sondern auch für einen längeren Urlaub.
Die aktuellen Herausforderungen bleiben
Wie stark die EM als Umsatztreiber wirken konnte, wird sich erst in der Schlussabrechnung zeigen. Doch eines ist schon jetzt klar: Die grundlegenden Herausforderungen in den verschiedenen Branchen löst auch die Großveranstaltung nicht.
Die wirtschaftlichen Gesamtaussichten für Deutschland bleiben insgesamt verhalten. Ob die EM bei den Konsument:innen zu einer nachhaltigen Stimmungsaufhellung führen wird, ist fraglich. Die Konsumzurückhaltung wird also bleiben, ebenso wie die strukturellen Probleme in zahlreichen Innenstädten.
Handel und Gastgewerbe kämpfen zudem weiter mit einem Fachkräftemangel und den Herausforderungen, die die Digitalisierung in allen Bereichen stellt. Dies beginnt bei der Entwicklung und Einführung von neuen Systemen wie Buchungs- und Reservationssystemen oder der digitalen Gästemappe für Hotels.
Dazu zählen aber auch die geänderten Zahlungsgewohnheiten der Menschen, wenn sie in den Städten unterwegs sind. Denn nach wie vor muss hier der richtige Mix aus bargeldlosen (internationalen) Bezahloptionen und der Akzeptanz von Bargeld gefunden werden. Womit sich die Frage nach einer kostengünstigen Abwicklung der Bargeldbestände stellt.
Die effizientere Gestaltung von Prozessen und die Digitalisierung bleiben mittelfristig für die verschiedenen Branchen eine Schlüsselaufgabe. Denn nur so werden sich die durch den demografischen Wandel hervorgerufenen Probleme bei Service- und Verkaufspersonal lösen lassen. Darüber werden auch die Effekte der EM nicht hinwegtäuschen können.
Aber jetzt freut sich Deutschland zunächst auf ein spannendes Turnier und natürlich möglichst erfolgreiches Abschneiden des eigenen Teams.